Training

Hier geht es um das Krankheitsbild eines hyperaktiven Pferdes. Das Thema steckt noch in den Kinderschuhen, hier soll eine breite Informationsplattform entstehen.
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LeonieMay
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#1 Training

Beitrag von LeonieMay » Fr 6. Jan 2012, 00:36

Reiten/ Ausbildung

Beim Reiten und der Ausbildung sei kurz vorweg gesagt, ist es wichtig mehr als Sattelfest zu sein. Betroffene Personen werden mir bei der Problematik sicherlich Recht geben. Da diese Pferde durch die Hyperaktivität überreagieren, neigen sie oft zu cholerischen und/ oder hysterischen Anfällen. Sitzt man drauf, kann es sich in Umdrehen und losbocken, Durchgehen, Bocken allgemein und anderen Unarten, die sich ein Reiter nicht wünscht, äußern. Leider kommen sie dann gemütsmäßig nicht so schnell zur Ruhe und steigern es zudem noch.

Von daher sollte man möglichst oben bleiben um in Ruhe reagieren zu können. Viele dieser Pferde werden von daher als unreitbar deklariert. Mit viel Training, guten Kenntnissen und Sattelfestigkeit können sie aber zu einem fast "normalen" Reitpferd ausgebildet werden.

Was ist also zu beachten. Am einfachsten wäre es immer zur gleichen Tageszeit, zu Anfang zumindest, in den Stall zu kommen und die gleichen Rituale und Abläufe vom Putzen über das Satteln einzubauen. Ebenso wäre ein geregelter Wochenablauf wie: Montags nur Weide, Dienstag longieren, Mittwoch reiten V/A, Donnerstag Freispringen, Freitag Dressurarbeit, Samstag Freilaufen, Sonntag reiten, aufzusplitten und das Woche für Woche.

Doch in der heutigen Zeit, da jeder einem Job nachgeht, ein Privatlebenbesitzt, ist das leider von der täglich gleichen Zeit im Stall zu sein, schwer umzusetzen. Dies hier sind auch nur Beispiele um aufzuzeigen, wo die Problematik der hyperaktiven Pferde liegt.

Bei meinem kommt die Hyperaktivität z.B. sehr stark durch, sobald er den Sattel sieht. Das heißt für ihn Arbeit; er freut sich und schon wird das Satteln zum Fiasko. Sein Hobby ist es, in den Sattelgurt zu schnabbeln und den gehegten und gepflegten Sattel wieder herunter zu ziehen. Er fängt dann trotz seiner Größe ebenso an, in mini trappelschritten vor und zurück am Anbinder zu rennen.

Als ich ihn bekam, baute er vorne schon liebevoll die Gamschen wieder ab, bevor ich welche an den Hinterbeinen hatte. Man sieht also auch, hyperaktive Pferde sind nicht nur "nervig". Sie besitzen meist auch eine sehr lustige, offene und nette Art.

Zurück zum Training. Ich gestalte es meist so, wie man es sich nicht wünscht in der Reiterei. Immer den gleichen Ablauf. Monotonie bis das Pferd entspannt und ich neue Aufgaben oder Lektionen einbauen kann. Immer die gleiche Minutenzahl Schritt zum Aufwärmen, Lösearbeit im Trab besteht so lang aus den gleichen Lektionen, bis er sich ebenso beruhigt. Klappen diese Lektionen nicht, sollte man nur 1-2 Dinge vorsichtig hinzu fügen, um die Losgelassenheit zu erreichen. Würde in diesem Moment eine neue Lektion eingebaut um die Losgelassenheit zu erreichen, versetzt es sie zumeist zusätzlich in Streß, da sie eh schon nicht locker sind und somit würde man einen hyperaktiven Anfall provozieren, dem man ja eigentlich aus dem Weg gehen möchte.

Wenn jetzt manche die Augen verdrehen und denken, dann dauert die Ausbildung ja ewig, kommt ein klares NEIN von mir! Zumeist braucht es nur 3 Tage, wenn es schlecht läuft 5 Tage, bis er wieder entspannt und die neuen Aufgabe zur täglichen Arbeit gehört. Hyperaktive Pferde lernen durch ihre Übersensibilität und zumeist hohen Intelligenz sehr sehr schnell. Dadurch werden sie eigentlich zu sehr guten Leistungspferden, wenn man weiß, wie der Weg aussehen könnte.

Das oben Beschriebene kurz zusammengefaßt soll ausdrücken, daß es enorm wichtig ist, im täglichen Training Wiederholungen, sowie den gleichen Ablauf einzubauen, bis es zur Ruhe und Entspannung kommt.

Abschließen möcht ich nur noch sagen, bitte nicht Wiederholungen mit Monotonie verwechseln.

Freilaufen

Grad in neuen Hallen würde ich zuerst immer die Halle-Ecken mit Flatterband sichern. Das kann man nicht prinzipiell bei allen Pferden sagen, wie immer :D , aber oftmals sind sie so abgelenkt, schauen ihre Umwelt an...das die nächste Ecke, Hallenbande nicht wahrgenommen wird. Es ist ja neu ;) .

Trotz Augenuntersuchung beim TÜV hatte ich nach dem zweiten schweren Unfall durch das Stoppen an der Bande eine abermalige Augenuntersuchung in der Klinik. Zumal meiner leider oft an der Boxentür hängen blieb. Alles in Ordnung.

Von daher etwas Nachsicht, wenn sie es in der Anfangsphase nicht schaffen, die neue Umgebung in sich aufzunehmen und gleichzeitig noch außen herum in der Halle laufen sollen mit gut sortierten Füßen ;) Auch sind völliges Überdrehen und unkontrolliertes "los knallen" wie wir es gerne nennen, nicht´s außergewöhnliches. Nur sollte hier aufgepaßt werden, daß die Pferde zum einen gut aufgewärmt wurden. Bei hyperaktiven Pferden, gestaltet sich das Schritt gehen in einer neuen Umgebung und bei einem Schub oftmals sehr schwer; zum anderen sollte drauf geachter werden, daß man rechtzeitig eingreift, da sie bekannter Maßen nicht müde werden. In einem anderen Beitrag bin ich ja schon auf die "fehlende Stopf-Ermüdungs-Taste" eingegangen.


Führen

Dieser Abschnitt hat mich gerade zum Aufstöhnen veranlaßt und ein Grinsen auf mein Gesicht gezaubert. Jeder, der sich entschieden hat, seinen hyperaktives Pferd zu behalten und zu trainieren kenn diese riesen Baustelle. Es ist oft eins der unverkennbarsten Anzeichen von Hyperaktivität.

Manchmal ist es wirklich sinnvoll auch seine Sicherheitsweste und Kappe beim Führen anzuziehen...ja, ja...sicherlich kommen jetzt auch Lacher auf der anderen Seite und das wäre im Pensionsstall nicht machbar, da man zum Tagesgespräch wird, aber für mich geht die Sicherheit einfach manchmal vor.

Nun aber zum eigentlichen Thema, bevor ich zu Lösungsansätzen komme. Was macht das Führen so schwierig?!
Kommt man aus der Box mit ihnen, steigt die Erwartungshaltung. Erwartungshaltung erhöht Streß, Streß löst hyperaktivität aus. Geht man dann Richtung Reithalle, Reitplatz, Weide oder Winterpaddock....kommt erneut eine Erwartung hinzu, der Streß wird abermals gesteigert und führt zu den bekanntlichen Überreaktionen, Explosionen oder anfallartigen Wutausbrüchen.

Begnen einem dann noch Veränderungen auf diesen zurückzulegenden Strecken, haben wir die 3 Streßsteigerung. Da reicht schon ein Besen der sonst dort nicht steht. Büsche die sich mehr bewegen durch den Wind. Ein Trecker der sonst nicht an der Stelle parkt, ein fremdes Pferd in der Halle und und und... Diese Schleife könnte man endlos weiter spinnen.

Zumeist kenne ich nur 2 Arten von Ausbrüchen an der Hand. Die Flucht nach vorne. Ist dieser Weg nicht frei, geht bei meinem die Flucht nach obe mit netten Bocksprüngen.

In der Anfangsphase allerdings stand ich ständig allein auf der Stallgasse. Schlimm war es ihn aus der Box zu bekommen. Sobald sich die Boxentür öffnete, ob nun zum Füttern, Einstreuen oder heraus holen, versuchte er im Trab aus der Box zu kommen. Er war dabei niemals böse, auch nicht beim Führen...er sprang mit seinen 1,80 Stm einfach mit einem Sprung los, war nicht mehr zu halten und schoß von dannen. Ob nun beim Rein- oder Rausbringen. Der Weg zu Reithalle ähnelte, da er so lang war einem Spießroutenlauf.

Tja was habe ich ausprobiert und was war die Lösung. Trense mit Longe über das Halfter...keine Chance. Mit Glück bekam ich ihn noch um mich herum gezogen nach dem Sprung und konnte ihn an einer Wand stoppen...doch war keine da...war er auch weg, was mir zu gefährlich war, da ein Gebiß im Maul war.

Ein Knotenhalfter mit langem Strick und Bodentrainerin wurde nur müde belächelt. Die Anfälle waren stärker als die Erziehung und Druckpunkte die das Halfter auslöste.

Steigergebiß. Grausames Werkzeug und für mich so gar keine Alternative nach einmaligem Ausprobieren.

Damals half mir ein Bauernhalfter. Es ist eigentlich nur ein sehr dickes, langes Tau. Ich kannte es von dem Züchter-Vater meiner Freundin, wenn wir die Hengste auf große Weiden weiter weg brachten, wo sie gute 7-8 Monate blieben. Holte man sie im Herbst ab, waren sie oft arg verwildert. Es wurde in das schwere Seil eine Schlaufe gemacht, was den Nasenriemen darstellte oben als Backenstück über das Genick, an der anderen Seite wieder herunter geführt und dort einmal eingeschlugen.

Führseil und Halfter waren nun eins. Es ist im Grunde so ähnlich wie ein Knotenhalfter nur in XXL Dicke und zieht sich minimal Zu, wenn Druck durch Weglaufen drauf kommt. Keine Angst, damit wird kein Nasenbein gebrochen ;)

Ansonsten nahm ich es dann über das Halfter zum Rein- und Rausbringen. Nach einiger Zeit unterschied er schon, ob ich mit dem Bauernhalfter unterwegs war oder nicht. Heute geht es auch mit normalem Halfter.

Werde mal zusehen, daß ich die Tage es fotographiere und den Zusammenbau hier erklären kann. Das Bauernhalfter kann man in schlechten Phasen auch ganz schnell und wunderbar über die Trense ziehen.

Die Zeiten, wo ich allein dastehe sind von daher nun endgültig vorbei.


Zirkuslektionen

Habe ich in einer Krankenphase angefangen mit ihm zu üben. Bea Borelle hat dazu sehr viele, gute Bücher herausgebracht. Trotz "an" und "aus" Wörter für die Übungen baute er leider diese in starken Zappelphasen einfach ein und zeigte alles ungefragt, was er gelernt hatte. Es wurd mir von daher einfach zu gefährlich und ich stellte die angefangenen Übungen für Zirkuslektionen wieder ein.

Target

Haben wir im neuen Zuhause, als die starke hyperaktive Phase anfing durch googeln nach neuen Erkenntnissen über Hyperaktivität entdeckt. Bevor ich aber mehr dazu sage, würde ich Euch gerne den auch hier von mir eingestellten Artikel aus den Dressurstudien ans Herz legen.

In diesem Artikel wird das Lernen lernen von Pferden genauer analysiert und die neusten, wissenschaftlichen Erkenntnise darüber ausgewertet.

viewtopic.php?f=45&t=127

Darüber kam ich zum Target. Auch hierzu habe ich einen Thread hier im Forum eröffnet. Damit ich nicht alles doppelt und dreifach erkläre, stelle ich auch hierzu mal den Link ein. Selbst wenn kein Interesse dran besteht, es lohnt sich vielleicht den Thread zu überfliegen. Zwei Videos, auf denen man erkennen kann wie unterschiedlich meine beiden es erlernt haben sind auch dort drinnen. Der Hyperaktive ist der Schimmel.

viewtopic.php?f=47&t=128

Auf den Video´s sieht man, daß der Schimmel eindeutig besser gelernt hat und konzentrierter in den Übungen ist. Mein Nachbar sägte mit einer Motorsäge zu dem Zeitpunkt, was normaler Weise wegen der Geräuschkulisse ein Graus für ihn ist.

Etwas mehr als einen Monat arbeite ich nach dieser Methode jetzt zwischen drinnen mit ihm. Was ich bis dato sagen kann ist, daß es ihn zu vermehrter Konzentration bringt, er sehr gut entspannen kann und mit Herz und Seele bei der Sache ist. Es gibt im Target auch spezielle Übungen um Panikatacken zu vermeiden. Sie klappen auf der Stallgasse schon sehr gut, doch wie es in anfallartigen Situationen ist, wollte ich noch nicht ausprobieren. Dafür sollten sie Übungen in erster Linie von ihm noch sicherer ausgeführt werden. Werde es aber weiterhin in unser Programm einbauen.

Auch die erneut enstande Tierarzt-Panik-Situation konnte ich sehr schnell damit lösen.



Bob der Baumeister

Ist eigentlich kein Training, sondern eher ein Achtung-Aufruf. Sie schauen sich 2-5 Mal an, wie die Decke oder die Boxentür geschlossen wird und die meisten sehr schnabbeligen Maul-Pferde können sie dann öffnen. Für uns ist es nervig, für sie ein Spiel und Streßabbau. Ob sie sich nun selber ausziehen oder andere Pferde zum Unmut von deren Besitzern, in dieser Hinsicht sind sie sehr pfiffig.

Von daher kann man auch sehr gut Apportiertraining oder in agressiven Phasen Spielzeug in die Box hängen. Hierzu gehe ich im Thread "allgemeine Tips" hier aber noch genauer ein.

Edit:

Ich möchte Euch noch einmal um etwas bitten; Mitlerweile kommen immer wieder Benachrichtigungen mit Anfragen, habe ich nun ein hyperaktives Pferd oder nicht.

Ich kann auch verstehen, daß man hier nicht unbedingt öffentlich die ganze Geschichte von seinem Pferd aufschreiben möchte, da man ja zumeist schon eine Leidensodyssee hinter sich hat, oftmals zu hören bekam "das unerzogene Pferd" oder man fühlt sich unfähig, weil man sie nicht gehändelt bekommt.

Wer sich nicht unbedingt wegen der Fragen anmelden möchte, wir aber alle über einen regen Austausch profitieren können, habe ich von daher jetzt eine E-Mail Adresse eingerichtet unter



leoniemay( a )gmx.de



Damit aber alle von Euren Erfahrungswerten profitieren könnten, würde ich gerne einige Fragen und Antworten die per PN oder E-Mail gestellt werden, anonymisiert hier einstellen. Falls ihr das nicht möchtet, teilt mir das bitte in Euren Nachrichten mit.

Hilfreich ist es immer, wenn Ihr Video´s vom Verhalten Eurer Pferde machen und mitschicken könntet, was im heutigen High-Tech-Zeitalter der Handy´s ja kaum noch ein Problem ist. Das ist oftmals sehr aufschlußreich.

Lieben Dank, Eure LeonieMay

Es ist ein Jammer, daß die Dummköpfe so selbstsicher sind und die Klugen so voller Zweifel
Bertrand Arthur William Russel
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