Allerdings werden hyperaktive Pferde nur allzu gerne mit dem Stempel "schlecht erzogenes Pferd" oder "typisches Frauenpferd" versehen und Kommentare wie: "... der braucht nur mal nen harte Hand..." sind keine Seltenheit, die einem entgegnet werden.
Von daher, ist ein Pferd nicht gleich Hyperaktiv, wenn einer der hier aufgezählten Punkte auf Euer Pferd paßt. Es ist eine Bandbreite und das Zusammanspiel vieler Faktoren. Sollten aber Zweifel kommen oder Unsicherheiten, mehrere Punkte auf Eurer Pferd zutreffen, könnt ihr hier im Thread gerne Fragen dazu stellen oder mich auch persönlich über PN anschreiben.
Ich probier mal stichpunktartig einige Anzeichen aufzuführen, die jedoch nicht auf alle hyperaktiven Pferde zutreffen müssen, aber typisch sind:
- Steht beim Fressen nicht still, scharrt, donnert mit dem Vorderbein, Piaffiert auf der Stelle
- Nach der Kraftfutteraufnahme: Bewegungsdrang erhöht sich sowie die Unruhe, fängt an im Kreis zu rennen, wird nervös, beißt in Giterstäbe oder wetzt daran die Zähne;
Im schlimmsten Fall: Wird agressiv, schmeißt sich gegen die Boxenwände, fängt an zu bollern - Fütterungszeit nicht eingehalten: Überdreht, bekommt richtige Tobsuchtsanfälle, fährt nach der Futtergabe nicht wieder herunter, dieser Zustand kann den ganzen Tag anhalten
- Wetterwechsel: Sturm und Regen, verschlimmern die Unruhe. Bitte differenziert zu "normalen" Pferden sehen. Hyperaktive werden hier schwer händelbar, kaum zu führen, Verhalten ändert sich explosionsartig, Bock- und Tobsuchtsanfälle treten auf, im Umgang wie beim Führen oder unter dem Sattel; Fluchtdrang erhöht sich, losreißen an der Hand
- Boxenläufer: Sieht man morgens in der Box im Stroh Kreise in Form von Laufrinnen, schlafen viele nicht, sondern rennen die ganze Nacht im Kreis, teilweise auch tagsüber. Schlafmangeln führt zur Steigerung der Hyperaktivität und in dieser Phase zu starken Agressionen, hengstartigem Verhalten, Steigen, beißen, bocken
- Still stehen beim Putzen oder Schmied: Zappelt unaufhörlich auf der Stallgasse, vor zurück, hin und her, ruhig stehen ist nicht möglich. Steigerung bis los reißen. Selbst Ruhe und Geduld lindern den Umstand nicht (dies bitte aber nur im Zusammenhang mit anderen Auffälligkeiten sehen, da viele junge oder unerzogene Pferde dies auch nicht können).
Pferd ist draußen an Putzplätzen kaum anbindbar aufgrund der Umwelteinflüsse, dies benötigt viel Training. - Angrasen: Da in vielen Ställen mitlerweile das Anweiden im Frühjahr an der Hand gemacht wird, fällt hier auf, daß sie nur am wandern sind. Man läuft mehr, als daß sie fressen. Da es etwas Neues ist, wenn sie vom Winterpaddock kommen, sind sie in freudiger Erwartung auf das Gras, so daß die Hyperaktivität ausgelöst wird. Von daher läuft man in der ersten Zeit Kilometer für das bischen Gras, was sie dann wirklich mal fressen. Wird es zur Normalität und zum "normalen Tagesablauf" gehören, stellt sich das Verhalten zumeist wieder ein.
- Reiten: Sehr stark umweltorientiert, so daß sie zu richtigen Anfällen unter dem Sattel neigen, die sie selber und den Reiter in Gefahr bringen. Da hier ihre stark ausgeprägte Sensibilität mit hinein spielt, reagieren sie auf Geräusche stark übertrieben. Diese Pferde werden oft als Unreitbar abgestempelt durch ihre cholerischen Bock-, Wut- und/oder Steiganfälle.
Ein normales Pferd käme nach einer erschreckens Sekunde/Minute schnell wieder herunter, wäre wieder händelbar über die Hilfengebung vom Reiter. Hyperaktive Pferde sind dann oftmals so gefangen in ihrer Art, daß eine Mitarbeit einfach nicht mehr machbar ist. Wie beim Füttern, sind sie weiter überdreht und wie ein Duracell-Hase aufgezogen. Man läuft also bis zum Ende der Reiteinheit Gefahr, daß einer der Anfälle wieder zu dem eh schon erhöhten und überdrehten Potential hinzukommt. Sie kommen oftmals erst in ihrer "sicheren" Box nach einiger Zeit wieder zur Ruhe. - Tagesablauf und Veränderungen in der Umgebung: Es reichen oft schon anderen Angestellte, ein Umweiden, neue Herden, ein Schrank der umgestellt wurde, die die Hyperaktivität auslösen. Tagelang kann man an dieser veränderten Sitution nicht vorbei gehen, der Weg zur Weide wird zum Spießroutenlauf, da man sie eh schon schlecht führen kann. Entfernt man diese Gegenstände z.B. wie der Schrank oder gewöhnen sie sich an die neue Weide oder Stallburschen, kommen sie sehr zeitverzögert wieder mit ihrem Nervensystem herunter und benehmen sich fast wieder "normal".
- Führen: Tja, daß ist das schwierigste Thema. Leider ist das einer der Punkte, die bei einem hyperaktiven Pferd am schwersten zu Lösen sind und am auffälligsten. In der Erwartung aus der Box zu kommen, beim Satteln, auf dem Weg zur Halle oder morgens Richtung Paddock/Weide wird die Hyperaktivität ausgelöst. Ergo geht das piaffieren, bocken, durchstarten los. Durchgehend oder Anfallartig. Dadurch werden sie für sich und denjenigen der das Pferd führt oft sehr gefährlich.
Spaziergänge außerhalb der gewohnten Anlage oder reiten in fremder Umgebung sind von daher so gut wie nicht möglich und bedürfen einer langen Übung, vielen Tricks und Änderungen.
Wie mir eine Bekannte auch erzählte, die die gleichen Erfahrungen machte, verlor sie ihr Pferd Richtung Weide in der Anfangszeit sicherlich genauso oft wie ich. Dieses Verhalten spiegelt sich also grundlegend wieder.
- Diese Pferde sind oft sehr intelligent und übersensibel. Bemerkbar sehr oft bei Sedierungen zur Zahnbehandlung. Dadurch auch sehr, sehr, sehr stark Personenbezogen.
Schmiede, Tierärzte, Stallpersonal-Vertretungen haben von daher einen schweren Stand, da sie somit "fremd" sind, obwohl sehrwohl bekannt, aber nicht im täglichen Umgang, was für diese Pferde entscheident ist.
Somit ist das Mißtrauen geschürt gegenüber diesen Personen, der Streßfaktor steigt, so daß sie überreagieren, in ihre alte Verhaltensmuster die man schon gut weg trainieren konnte, zurück fallen. Ebenso kommen neue Verhaltensmuster hinzu; sie sich von diesen Personen nicht anfassen, behandlen oder gar führen lassen. Brüllt noch eine dieser Personen oder wird laut, kommt es meist zu panischen Anfällen oder überzogenen Reaktionen.
Dies ist am deutlichsten zu beobachten, wenn es sich beim gewohnten Tierarzt gut behandeln läßt, vor dem Neuen aber zurückweicht etc. oder bei einer Stallpersonalvertretung auf einmal nicht mehr führbar ist.
Bestes Beispiel ist vor 2 Wochen bei uns passiert. Wir haben gerade eine schlechte, durchgehende sehr, sehr starke Hyperaktivität-Phase. Ich bat meinen Mann, noch einmal nachzustreuen in der Box, da er tagsüber sehr viel gerannt ist. Er kennt ihn sehr gut, aber eben nicht täglich. Mein Mann schüttelte also das Stroh wie immer etwas auf, was ihm natürlich auch bekannt ist und mein Pferd springt in die hinterste Ecke der Box und fängt an zu bocken. Der Mann sprang ebenso entsetzt rückwärts aus der Box.
- Bewegungsdrang: Wird nicht müde, wenn es überdreht. Sie würden laufen bis zum Umfallen. Es fühlt sich für den Pferdebesitzer an, als gäbe es keine Stop-Aus-Taste wie bei normalen Pferden. Denkt man dann, das Pferd ist kaputt und augetobt genug, hat man jedoch weit gefehlt.
Zeigt sich von daher am nächsten Tag sowie an den darauffolgenden Tagen der gleiche überdimensionale Bewegungsdrang mit Raserei- und Bockerei, obwohl das Pferd dies nicht leisten kann bei seinem derzeitigen Trainingszustand und müßte Muskelkater haben...ist die Hyperaktivität meistens in hohem Maße da. - Umgebungswechsel: Durch das Reinholen in die Box sind die Pferde oftmals noch die erste Zeit stark zappelig und überdreht, fressen unruhig. Das Freßverhalten ist hektisch, lassen oft das Futter liegen, rennen zum Fenster schauen hinaus und widmen sich dann erst wieder dem Raufutter.
- Sind meist sehr schnabbelige Maul Pferde, vom spielen mit den Lippen bis hin zum Knapsen oder richtigem Beißen...Dies ist ein Streßabbau-Indikator. Von daher bauen sie gerne auch die Box auseinander, können einfache Türriegel sehr leicht öffnen sowie ihre eigenen Deckenverschlüsse. Das Maul ist im Grunde immer irgendwo in Kontakt mit Gegenständen.
- Sie sind sehr intelligent, lernen sehr sehr schnell beim Reiten, überhöhter Leistungsdrang, was natürlich auch auf andere Pferde zutrifft, daher dies bitte auch mit dem Obigen im Zusammenhang sehen.
- Sommer- Winter- Unterschiede: Meiner verträgt Nässe wie Kälte nicht so gut, weder von den Geräuschen noch vom Körperlichen. Die cholerischen Anfälle steigen ebenso wie die Grundnervosität. Enstpannung und Grunddurchlässigkeit sind somit beim Reiten kaum noch zu erreichen. Hier helfen Solarium, Keramikprodukte wie Gamaschen und Schabracke.
Andere haben das Problem im Sommer, da die Pferde 24 Stunden auf der Weide stehen und somit den Umweltreizen erhöht ausgesetzt sind, Ruhephasen und sichere Box fehlen dann, um wieder "herunter" zu kommen.
Zusammenhänge??? - Edit:
Aus den vielen Anfragen, E-Mails und PN´s die in letzter eingegangen sind kristallisierten sich für mich einige Gemeinsamkeiten heraus, bei den Pferden, wo ich vermuten würde, was jedoch bis dato noch nicht abgeklärt war durch einen Tierarzt, das sie Hyperaktiv sein könnten:
Die Tatsache Unruhe im Stall. Von vielen Pferden am Anbindeplatz über Reitunterricht in der Halle oder Hochbetrieb von Einstellern. Sprich große Reitanlagen, wie sie meist modern geworden sind, sind für die Haltung leider oft sehr unpassend.
Offene Boxen, große Weiten, sprich Fernsicht und vor allen Dingen Wetterwechsel in Regen und Sturm sowie Kälteempfindlichkeit.
Fremdeln. Von Fremden nicht heraus holen lassen, führen oder gar behandeln lassen. Das fängt bei wechselndem Stallpersonal an und geht über den Hufschmied.
Ebenso zeigten sich bei Wallachen die Gemeinsamkeit, daß man erst dachte sie wären Hengste durch ihr Verhalten und Gepose oder im Umgang mit anderen Wallachen, spät gelegt oder hätten zu hohen Testosterongehalt, was sich zumeist nicht heraus stellte.